Auf einmal hat ja jeder nen Blog! Haben denn jetzt auf einmal alle so spannende Leben? Und ich bin ein Mitläufer... Naja, hab ja auch nie was anderes behauptet.
Also, lassen wir das Rumgeheule, ich erzähl am besten einfach meine Boston-Geschichte weiter. Zur Arbeit gibt's gar nicht so viel zu sagen... Die Kollegen sind alle recht kuhl, die Aufgaben sind's bisher noch nicht. Da bin ich aber zuversichtlich. Bisher kann ich mich nicht über Überlastung beklagen, im Gegenteil, ein bisschen mehr Beschäftigung wäre zeitweise ganz nett - obwohl ich das wohl größtenteils auch selbst in der Hand hätte. Mal schauen, wie das so weitergeht.
Auf den Wegen von und zur Arbeit darf ich jeden Tag die Eigenheiten des amerikanischen Autofahrens studieren - und diesmal rede ich nicht vom Stadtverkehr in Boston. Empirische Untersuchungen müssen wohl ergeben haben, dass die Anzeige eines Richtungswechsels während der Autofahrt den täglichen Informations-over-kill der Mitmenschen nur zusätzlich begünstigt und dessen Unterlassung zudem auch die Umwelt schont. Dies führt auf Seiten der Fahrer zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit dem Blinker - nie - und auf Seiten der Autohersteller zu einer schrittweisen Rückentwicklung dieser technischen Errungenschaft - dahin, dass Blinker lediglich noch in die Rückleuchte nahezu unsichtbar integriert werden. Hinzu kommt der in Massachusetts ausgeprägte Sinn zur Nutzung freier Autobahnflächen. Mit spontan einscherenden SUVs rechnen zu müssen, sobald zum vorderen Auto mehr als 6 Meter Abstand herrschen, war zumindest für mich eine neue Erfahrung.
Noch eine Erfahrung dieser Art ist die Rechte-Spur-Liebe der Amis. Hier eine zweispurige Straße (außer der Autobahn) zu bauen, macht eigentlich keinen Sinn. Mein Arbeitsweg bringt es mit sich, dass ich dreimal kurz auf solchen Straßen fahre, jeweils nur, um mehr oder weniger sofort rechts abzubiegen. Ich muss mich dafür immer schon mehrere hundert Meter vor der Abbiegung auf der überfüllten, langsam dahinkriechenden rechten Spur einordnen, weil zu befürchten ist, dass ich sonst nicht mehr hinüber komme. Und dann, an der Abbiegung angekommen, darf ich immer wieder kopfschüttelnd feststellen, dass ich nahezu der einzige bin, der hier auf die Autobahn will... Ich versteh's nicht.
Egal, das nur am Rande. Nachdem also von der ersten Arbeitswoche nicht viel zu erzählen ist, steig ich gleich bei Freitag ein. Auf Anraten einer IBMerin hab ich bei craigslist.org (anscheinend die US-Internetseite zur Wohnungssuche) selbst eine Wohnungs-Such-Anzeige reingestellt und darin erwähnt, dass ich für IBM arbeite (hier zählt Big Blue nämlich noch was *aufdiebrustklopf*). Und siehe da, innerhalb einer halben Stunde kamen die ersten Antworten, bis Sonntag insgesamt 18 Stück. Das traf sich ganz gut, da ich das Anschreiben der Wohnungsinserenten schon eine Weile vor mir hergeschoben hatte... Und gleich die allererste Antwort klang auch ziemlich gut und ich hab da sofort angerufen. Der zweite Anruf-Versuch hat mir dann einen Zimmer-Besichtigungstermin für Samstag Vormittag beschert - ich weiß, Samstag Vormittag und irgendwas außer schlafen passt nicht zusammen, aber ich hatte ja eh nicht vor, Freitag großartig was zu machen (siehe erster Blog-Eintrag). Auf mehr E-Mails hab ich nicht reagiert, da ich erstens zu faul war und zweitens dieses Zimmer schon so geil klang, dass zu diesem Zeitpunkt kein anderes eine Chance hatte. Also Samstag tatsächlich früh aufgestanden, relativ ausführlich mit Mama, Papa, Schwester, Oma und Opa gevideoskypt, die kalte Dusche "genossen" (ich hab keinen Schimmer, wie ich da warmes Wasser rausbekommen soll, aber es muss gehen!) und dann in Richtung Harvard Square in Cambridge gefahren (10 Minuten mit der U-Bahn). Dort haben Sean (der Vermieter, der berufsbedingt den Sommer über an der Westküste ist) und ich uns nach einigem telefonischen hin und her gefunden und wir sind zusammen in seinem Auto zur Wohnung gefahren. Harvard Square ist das absolute Nachtleben-Zentrum in Cambridge (und laut verschiedenen Aussagen schließt das in diesem Punkt Boston mit ein) und von der Wohnung laut Sean etwa 15-20 Fuß-Minuten entfernt, in GoogleMaps sieht's eher nach 25-30 Minuten aus (Harvard Square ist ein Stückchen weiter nach rechts oben [Blaues M]):
Einfach mal reinzoomen, die Stecknadel sollte relativ genau auf der Wohnung liegen. Der Pool rechts daneben gehört übrigens zum Haus...
Und auch sonst lässt sich die Bude nicht lumpen: Tief-Garagen-Platz, Indoor-Pool mit Whirlpool, Outdoor-Pool mit Liegewiese, schicke Lobby, eine Gegensprechanlage, die dich mit dem Handy des Bewohners verbindet usw. Ich war also sofort recht angetan... Und auch oben (5. Stock) gings gut weiter: Eine Riesen-Wohnung, Balkon mit Blick auf Boston und Charles River (und wohl auch auf das 4.-Juli-Feuerwerk), große Flachbildschirme inkl. Sourround-Anlage in Wohnzimmer und Schlafzimmer, 2 Bäder (für 2 Bewohner, es gab also auch noch einen Mitbewohner), große Küche... Mann, und das auch noch zu einem Preis innerhalb des Budgets! Nach ein bisserl verbalem Abtasten und Kennenlernen mit Sean und Mitbewohner-Mike (beide Mitte 20, beide berufstätig und anscheinend nebenbei studierend) sind wir dann so verblieben, dass sie mich Sonntag anrufen, da sie noch weitere Leute eingeladen haben. Anscheinend hat Sean aber ein Herz für Deutsche (er hat wohl drei deutsche Freunde in Cambridge) und wir haben uns auch recht gut verstanden, jedenfalls hat er mich dann beim Verabschieden gefragt, ob ich abends mit ihm und seinen Freunden (nicht die deutschen) was trinken gehen wolle. Wollte ich!
Also hab ich fröhlich noch ein bisserl Cambridge erkundigt (Bilder!) und genossen und später dann back in Beacon Hill den Tag gechillt ausklingen lassen. Und mit Seans Anruf gegen 7 ging dann die Nacht los... Erst haben wir ganz ruhig bei ihm und Mike Bier getrunken und das Celtics-Spiel geschaut, bis langsam seine Freunde eintrafen (am Ende waren wir sieben). Dann hat Sean Absinth rausgeholt, den er aus Tschechien mitgebracht hat... Nur gut, dass wir nicht allzu lange bei ihm waren. Gut angeheitert ging es dann zum ersten Mal in die Taxis in Richtung Harvard Square. Und von dort nach Hongkong - eine Bar, die uns kaum 5 Minuten gesehen hat, denn es wurde schnell entschieden, weiterzugehen. In der nächsten Bar haben dann zumindest ein paar von uns (mich eingeschlossen) etwas getrunken, bevor es auch diesmal gleich weiterging. In Bar Nummer 3 haben wir es ein wenig länger ausgehalten - immerhin haben wir eine Runde von Mochitos, die keine Mochitos waren, geschafft. Da es uns aber auch hier anscheinend nicht gefiel und die Zeit langsam für Boston Nightclubbing reif war, sind wir zum zweiten Mal in die Taxis (ich habe bei keiner der Fahrten etwas bezahlt
) und in die Bostoner Downtown gefahren. Und dort ins Gypsys... tatsächlich mit zwei Y. Ein ziemlich edler Schuppen, gegen dessen Dresscode (laut Webseite) ich auf jeden Fall verstieß, bin aber trotzdem reingekommen. Drinnen war die Party in vollem Gange und es wurde ein ziemlich lustiger Abend...
Achja, ich durfte noch lernen, dass man hier an der Bar in der Disko Trinkgeld gibt und dieses einfach auf dem Tresen liegen lässt. Aber das gilt wahrscheinlich nur für solche Nobel-Schuppen...
Die Rückkehr ist auch noch eine kleine Anekdote wert: Ich hatte durch die Taxi-Fahrerei meine in dieser Stadt eh nicht sonderlich ausgeprägte Orientierung völlig verloren, aber ich hatte aufgeschnappt, dass wir in Boston Downtown gelandet sind. Und da meine derzeitige Unterkunft ganz nah dran an Downtown ist, beschloss ich ohne Wegweisung einfach loszulaufen. Irgendwann würde mir schon eine bekannte Straße über den Weg laufen, so hoffte ich... Vergebens. Die Dunkelheit und unter Umständen auch ein Tropfen Alkohol in mir verwehrten mir für geschätzte 30 Minuten Fußmarsch die Wiedererkennung und ich nahm mir schlussendlich ein Taxi... Gestern hab ich dann mal nachgeschaut, wo wir eigentlich waren. Und bittererweise hätte ich mir einiges an Zeit und Taxi-Kosten sparen können: Der Club liegt an einem Ende des Common (großer Stadtpark), ich wohn am anderen - ein Fußmarsch von vlt. 10, maximal 15 Minuten hätte es getan. Aber ich hab beim Verlassen des Clubs wirklich nicht wahrgenommen, dass auf der anderen Straßenseite ein Park ist... Egal, so hab ich wenigstens doch noch eine Taxi-Fahrt an diesem Abend bezahlt.
Der nächste Morgen begrüßte mich erstaunlich Kopfschmerzen-arm, aber wolkenverhangen - bislang hatte die ganze Zeit die Sonne geschienen. Nach einem kleinen und ereignislosen Ausflug zum Hafen (nochmal siehe Bilder) ließ ich den Sonntag dann auch mit viel Schlaf und wenig Sinn ausklingen. Genau so, wie ein Sonntag nunmal sein muss...
Achso, zwischendurch am Samstag haben mir Sean und Mike eröffnet, dass ich das Zimmer haben könnte. Jetzt steig ich also in 2 Wochen zum Bostoner (oder eher Cambridger) Bonzen-Kind auf... 
Bis zum nächsten Text! Kommentar-Feedback ist übrigens erwünscht... 